Unter Depublikation versteht man allgemein die Löschung von Inhalten aus dem Netz. Gemacht wird das und zwar ganz konkret tagtäglich beim öffentlichen Rundfunk. Dabei geschieht das nicht freiwillig, sondern aufgrund einer gesetzlichen Regelung, die im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag festhalten wurde. Der Grund und der Vorgang ist in der Wikipedia bereits besser dokumentiert, als ich das hier zusammenfassen könnte, daher bitte ich darum, ggf. einfach dort noch einmal nachzulesen.
In der Praxis sieht das nun so aus, dass Videoinhalte, die von den öffentlichen Rundfunksendern produziert wurden, in den Mediatheken nur eine kurze Zeit zur Verfügung stehen. Das heißt u.a. die Arbeit, die in Redaktion und Produktion gesteckt wurde, ist nach Versendung im Fernsehprogramm und nach Vorhalten z.B. von sieben Tagen in der Mediathek, dann auf einmal wertlos, als wären sie aufgebraucht. Das zieht sich dann durch, bis auf die Verlinkung darauf. Mein Artikel „In der ARTE Mediathek: Durch die Nacht mit K.I.Z. und Kraftklub“ z.B. habe ich erst vor acht Tagen, also am 5. Juni, veröffentlicht und ist heute schon wieder relativ wertlos, weil der darin verlinkte Beitrag in der ARTE Mediathek nicht mehr zur Verfügung steht. Der Zugang zu Informationen wird gesperrt, Wissen vorenthalten.
So sehr das aufregen kann, so sehr viel mehr nehmen wir Depublikation tagtäglich billigend in Kauf, auch an Stellen, wo uns das gar nicht so bewusst ist oder wir auch gar nicht so machen würden, könnten wir konkret darüber entscheiden. Meiner Meinung nach ist Depublikation überall dort zu finden, wo dem Zugang auf Informationen Grenzen gesetzt wird. Viele Grenzen haben natürlich auch eine Berechtigung und durchaus wichtige Funktion – Datenschutz. Der Idee von Post Privacy als Szenario mit größtmöglicher Grenzenlosigkeit stehe ich selbst eher skeptisch gegenüber. Für mich ist das ein sehr theoretisches Konstrukt, das seine Reize hat, spätestens aber an der Realität der Natur und dem Menschsein bricht.
Die alltägliche Depublikation, die ich meine, finden wir vor allem in unserer eigenen Mediennutzung. Über all diese Plattformen im Web, allen voran Facebook, kommunizieren wir heute zum Großteil auch, um gesellschaftlich relevante Prozesse mitzugestalten. Viele Themen von gesellschaftlicher Bedeutung, nehmen wir das Thema Urheberrecht oder auch die neuen Finanzierungsmodelle für Kultur und Kunst, können wir nicht im stillen Kämmerlein diskutieren, sondern nur öffentlich. Facebook kommt uns dabei entgegen, spannenderweise mit den bisher für Marketingzwecke wenig beachteten Facebook-Gruppen. Den Vorteil der Facebook-Gruppen hat kürzlich auch Christian Henner-Fehr in seinem Blog wieder heraus gestellt.
In bestimmten Bereichen sind Facebook-Gruppen bereits zu einem Quasi-Standard geworden. Allgemein für die digitale Kommunikation gilt der Vorteil der Orts- und Zeitunabhängigkeit. Bei Facebook kommt hinzu, dass man tatsächlich sehr viele Menschen dort erreicht und man diese über das Markieren von Personen ggf. auch direkt ansprechen kann. Zusätzlich gibt es eine für jeden individuell einstellbare Benachrichtigungsfunktion. Das Problem ist, wir nutzen Facebook tagtäglich, übersehen aber, dass wir das dort gewonnene Wissen all zu oft nur in unseren Köpfen abspeichern. Facebook-Gruppen haben zwar auch die Funktion der Suche, wodurch man vergangene Inhalte wiederfinden kann, um das nutzen können muss man aber erst einmal wissen, wonach man suchen muss.
Zu schnell, um alles aufzuschreiben
Tatsächlich Kommunizieren wir eigentlich zu schnell. Wären wir langsamer würde uns wahrscheinlich eher auffallen, dass wir uns mehr aufschreiben müssten. Dass man das, was man eigentlich schon einmal in der Gruppe diskutiert hat, für einen Neuen oder eine Neue nicht mehr ersichtlich ist, bemerken wir dann, wenn diese Neuen plötzlich mit überraschend viel Elan neuen Ideen diskutieren will, die eigentlich schon längst geklärt zu scheinen oder nicht mit den bisherigen Vorstellungen kombinierbar sind. Für uns, die wir das bei uns im Kopf abgespeichert haben, sind die Dinge offensichtlich, für andere aber nicht und wir können nicht einfach schnell einen Link setzen. Selbst wenn Inhalte faktisch noch existieren, die bisherigen Ideen, der vorangegangene Austausch ist nicht ohne das Überschreiten einer schwierigen Hürde erreichbar, Inhalte wurden von nachfolgenden Inhalten verdrängt und somit depubliziert.
Wenn man will, könnte man auch sagen, dass wir auf Facebook überhaupt nicht schreiben, sondern nur reden, gesprochene Worte verhallen im Wortwind der Massen. Nicht in jedem Fall, aber irgendwie haben wir verlernt, dass wir Erkenntnisse und die Herleitungen dieser Erkenntnisse aufschreiben müssen. Was wir auf Faceboook und vor allem in den Facebook-Gruppen gestalten, werden wir auf Facebook direkt in einem halben Jahr nicht mehr nachvollziehen können. Weil es einfach verschwunden ist, im Datenmeer auf nimmer Wiedersehen. Facebook wird uns so bald nicht auch da noch entgegen kommen. Wir müssen wieder anfangen Wissen aufzuschreiben, logisch und semantisch zu ordnen, damit wir selbst in einem halben Jahr noch wissen, wie wir auf das alles gekommen sind, was wir tun und was wir sind.