Wenn man ein paar wenige Jahre in die Vergangenheit schaut, ist die aktuelle Debatte um das Urheberrecht schon etwas merkwürdig. Es ist doch eigentlich noch gar nicht so lange her, dass man sagte, die Musikindustrie sei selbst Schuld daran, dass Tauschbörsen sich etabliert haben. Die Krönung der ganzen Geschichte ist, dass Amazon und Apple einen kompletten Distributionsweg dominieren und nicht etwas Verlage, also diejenigen, die Urhebern tausend- oder millionenfach das Versprechen abgegeben haben, ihre Werke bestmöglich zu vertreiben. Pustekuchen. Statt in Forschung und Entwicklung zu investieren, wurde im großen Stil versucht die Zeit anzuhalten, das Prinzip der Abmahnung salonfähig gemacht und dem Urheber dann erklärt, dass das mit dem Lebensunterhalt wohl nur noch funktioniere, wenn man an allen Verwertungsmöglichkeiten mitverdiene. Die Innovation der Musikindustrie hieß 360° Modell.
Dass die Urheber ihren Vertragspartnern nicht in den Allerwertesten traten, muss wohl auch daran liegen, dass sie sich mit dem Feindbild Internet noch ein zweites Mal haben reinlegen lassen. Manche waren sogar noch so gut und habe sich in Person vor diesen Karren spannen lassen. Warum eigentlich?
Merkwürdig ist, dass wir heute nicht mehr darüber diskutieren, dass sich die Verwerter, statt sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewußt zu werden, sich mehr mit ihrer eigenen Blindheit zufrieden gaben und geben. Nein, heute geht es nicht mehr darum, dass es technische Konzepte braucht, denn diese scheinen schon längst vorhanden zu sein. Heute geht es darum, gleich das gesamte Urheberrecht in Frage zu stellen und dessen Abschaffung zur Diskussion zu stellen. Wir diskutieren also nicht mehr gegen die Verwerter, sondern gegen die Urheber. Warum eigentlich?
Ich kann mir das nur so erklären, dass das Bild der Illegalität sehr effektiv und stellvertretend für alle Probleme, die mit dem Internet aufgekommen sind, de facto einfach nur sichtbarer wurden, pauschal an das das gesamte Medium Internet rangedichtet wurden. Das Internet aber wird immer mehr in gesellschaftliche Prozesse integriert. Das Bild der Illegalität für das Internet allgemein, das muss daher dringend wieder weichen. Nur wie? Mal eben das Urheberrecht abschaffen, würde tatsächlich was verändern. Aber ist es tatsächlich eine Lösung für dieses Problem? Wir haben ein Problem mit Illgalität, also schaffen wir die Illegalität ab?
Kopieren ist das Grundprinzip aller Medien.
Ich mag Michael Seemann ja eigentlich sehr gern. Er gehört zu den Podcastern, denen ich immer wieder gern zuhöre und ich finde auch seine Gedankengänge, die ich dort höre immer wieder interessant. Aber seine Herleitung, warum wir jetzt das Urheberrecht abschaffen sollten, ist dann doch etwas mager.
Denn das Internet besteht in seinem innersten Kern fast ausschließlich aus Kopieroperationen. Ob wir eine E-Mail „senden“, eine Website „laden“ oder einen Pinnwandeintrag „posten“: Hinter allem, was man im Internet tut, steckt ein Kopiervorgang. Filesharing ist in Wirklichkeit keine spezielle Anwendung im Internet, das Internet ist Filesharing.
Es stimmt, aber es beschreibt lediglich die rein technische Ebene. Was er dabei vergisst, auch hinter allen anderen Medien steckt bereits das Prinzip des Kopierens. Buchdruck ist ein Kopiervorgang. Mündliches Erzählen ist ein Kopiervorgang, wenn auch ein qualitätiv schlechter. Medien sind „Kommunikationsmittel zur Informationsübertragung„. Medien stehen in der Mitte, sie sind Mittler zwischen einer Quelle und einem Empfänger. Übertragen werden Informationen. Ist eine Information beim Empfänger angekommen, ist sie bei der Quelle immer noch vorhanden. Damit wurde die Information vervielfältigt, zu gut deutsch: kopiert.
Kopieren ist auch eine Grundlage für Kultur.
Kopie unter Strafe zu stellen, ist aber auch nur ein sehr kurzer Wurf. Tatsächlich ist es eher so, dass wir nur existieren können, weil wir kopieren. Bereits als Baby kopieren wir Mimik und Gestik unserer Eltern. Um Sprechen zu lernen kopieren wir Laute, die wir hören. Von Schülern wird leider immer noch verlangt, ganze Sätze vom Buch ins Gehirn zu kopieren. Damit wir als Gesellschaft funktionieren können habe wir gelernt gemeinsame Bedeutungssphären auszubilden, d.h. wir kopieren verschiedenste Einzelteile voneinander, wenn sich größtmögliche Schnittmengen untereinander ausbilden, sprechen wir von Kultur.
Keine Entscheidung, kein Problem.
Wenn man das so stehen lassen würde, würde die Kopie in der Tat eine schizophrene Existenz führen. Ganz so unlösbar erscheint mir das Problem auf theoretischer Ebene trotzdem nicht. Kopieren kann ich nämlich nur, worauf ich Zugriff habe. Um es mit den Worten von mspro zu sagen: Kopieren ohne Zugang ist wie „Segelfliegen im Vakuum“. Wir können also aufhören das Kopieren zu illegalisieren. Das Internet, dessen Grundlage der Kopiervorgang ist, ist gar nicht illegal. Illegal ist weiterhin nur ein Vorgang, der von Menschen entschieden werden kann: Das Verschaffen von Zugang ohne das Recht oder die Einwilligung darauf zu besitzen dies entscheiden zu können. Das Abschaffen des Urheberrechts, wäre nur der Versuch die Entscheidbarkeit der Rechtmäßigkeit außer Kraft zu setzen. Der rein technische Vorgang der Vervielfältigung ist nicht illegal. Ich kann ein Buch, das ich besitze, 1.000x kopieren. So lange kein anderer Mensch als ich diese Bücher lesen kann, entsteht kein Schaden.
Urheberrecht auf Basis von Kontrolle funktioniert nicht – genau so wenig wie Gesellschaft.
Die versuchte Kontrolle des Kopiervorgangs über Acta, Sopa, Pipa usw., die vermeintliche Lösung der Verwerterlobby, ist im Endeffekt nichts geringeres als der Versuch uns in unseren Entscheidungen zu manipulieren. Es ist der Versuch eines Staates Macht über seine Bürger zu erlangen. Das Problem an Internetfiltern ist, dass sie nicht an der Ursache messen, sondern sich nur der zweite Schritt, der Kopiervorgang, technisch beobachten läßt. Der Freiheit liebende Mensch kann das nicht wollen, weil vom zweiten auf den ersten geschlossen wird.
Urheberrecht braucht Urheberrechtsnennung.
Damit das Urheberrecht funktionieren kann, muss letztenendes jeder Mensch in der Lage sein über die Rechtmäßigkeit des Zugang verschaffens selbst urteilen zu können. Genau dazu muss in der Tat noch einiges getan werden. Beispielsweise sollte der Urheber eines Werkes viel präsenter sein, vor allem auch im Internet. Die Urhebernennung sollte standardmäßig maschinenlesbar sein, damit sie jederzeit über den Quellcode transportiert werden kann. Nur dann kann sie auch jederzeit angezeigt werden, damit der Mensch erkennt, dass es zu einem Werk immer auch einen Schöpfer gibt.
Das Urheberrechtsgesetz wurde in der Vergangenheit selbst demontiert.
Die lange der Wirkungsdauer des Urheberrechts über 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers wirkt dem Sinn nach Rechtmäßigkeit des Urheberrechts entgegen. Allgemein hin möchten wir erreichen, dass ein Urheber von seiner Schöpfung leben kann. Warum ein Urenkel aber auch noch davon leben können muss, wird nicht klar. Mir persönlich ist keine logische Erklärung dafür bekannt. Es erscheint mir daher nicht rechtens. Eine Wirkungsdauer von bis ca. 30 Jahren nach dem Tod halte ich für ausreichend, um die Unversehrtheit des Urheber zu gewährleisten.
Urheberrecht braucht Bildung.
Der Mensch, der über Rechtmäßigkeiten entscheiden können muss, muss eine Fähigkeit der Entscheidung ausbilden. Er muss lernen, warum es wichtig ist, dass es dem Urheber obliegt über den Zugang zu entscheiden und er muss lernen, was es bedeutet ein Werk zu schöpfen, damit er sich empathisch mit den individuellen Prozessen auseinandersetzen kann.
Urheberrecht braucht Vertrauen und Einsicht.
Zu guter letzt werden wir darum herum kommen, beim Urheberrecht auch auf Vertrauen und Einsicht zu setzen. Das baut im Übrigen auch wieder auf Bildung auf. Wirklich schwierig wird das Urheberrecht nämlich dadurch, dass es zunächst erst einmal eine Schöpfungshöhe voraussetzt. Der Begriff der Schöpfungshöhe wird beispielsweise kaum öffentlich diskutiert. Ich selbst kann den Begriff auch nicht aus dem Stehgreif im Zusammenhang zum Urheberrecht definieren. In der Wikipedia steht:
Die Schöpfungshöhe (auch: Gestaltungshöhe, Werkhöhe) ist ein Kriterium, das im Urheberrecht urheberrechtlich geschützte Werke von solchen Leistungen abgrenzt, die keinem urheberrechtlichen Schutz unterliegen.
[…]
Ein Werk im Sinne des § 2 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) muss eine konkrete, „wahrnehmbare Formgestaltung“ aufweisen, also über eine Idee hinaus bereits so weit konkretisiert sein, dass es mit menschlichen Sinnen wahrnehmbar ist. Und es muss sich nach § 2 Abs. 2 UrhG um eine „persönliche geistige Schöpfung“ handeln. Dieses Kriterium schließt einerseits Zufallsentstehungen, Fundstücke und von Tieren Produziertes aus. Und es verlangt eine dem Schöpfer zuzurechnende Individualität des Werkes.
Jeder Mensch ist anders veranlagt seine Umwelt und Einzelheiten davon wahrzunehmen. Schon allein dass wir also auf die Individualität der Wahrnehmung zurückgreifen müssen und den Gegenüber glauben müssen, dass es nicht Zufall oder gefunden ist, zeigt, dass wir Vertrauen und Einsicht brauchen, damit Urheberrecht funktionieren kann. Weitermachen wie bisher, Abmahnwahn, Kriminalisierung einer ganzen Generation, geht also auch nicht.