Auf verschiedenen Nachrichtenseiten konnte man gestern einen Artikel zum gerade beendeten Kunstfestival Ostrale in Dresden lesen. Gegenüber der Nachrichtenagentur dapd zieht darin die Leiterin und gleichfalls eine von drei im Team der Kuratoren, Andrea Hilger, zwar eine positive Bilanz, richtet aber auch deutliche Worte an „die Stadt“ Dresden.
Aus der ganzen Welt reisten Menschen zur documenta nach Kassel, aber in Dresden friste Gegenwartskunst noch immer allenfalls ein Nischendasein, kritisierte Hilger. Grund dafür sei, dass sich die Stadt nicht offiziell zu dem Angebot bekenne. Viele reisefreudige Kunstliebhaber wüssten deshalb nicht, dass es auch in der sächsischen Landeshauptstadt eine Plattform für zeitgenössische Kunst gebe, sagte sie.
Auch wenn ich das Gefühl habe, dass der Vergleich mit der documenta in Kassel dann doch eher gewollt und nicht gekonnt ist, will ich lieber nicht wirklich darauf eingehen. Zum künstlerischen Anspruch und dem tatsächlichen Gehalt der documenta kann ich nichts sagen, weil ich diese nur aus Berichten kenne, selbst aber noch nie dort war. Auf der Ostrale war ich in diesem Jahr auch nicht.
Die Kausalkette, die Ostrale friste ein Nischendasein, weil die reisefreudigen Kunstliebhaber nicht von ihr wüssten, weil „die Stadt“ Dresden sich nicht zu ihr bekennen würde, dürfte aber nicht nur mir wie ein emotional getriebener Tritt in den Allerwertesten vorkommen. Die Frage ist dabei aber nicht nur, an wen dieser eigentlich adressiert sein könnte, sondern auch ob die Kritik überhaupt berechtigt ist. Wer also soll sich hier angesprochen fühlen? Ist es der Ausschuss, der über die Vergabe der zur Verfügung stehenden Mittel für die Kulturförderung entscheidet? Ist es der Kulturbürgermeister Dr. Ralf Lunau oder ist es die Dresden Marketing Gesellschaft, die ganz nebenbei gesagt auch im Ostra-Gelände, also keine fünf Gehweg-Minuten entfernt, sitzt? Das Amt für Wirtschaftsförderung wäre mit Bezug auf die Unterstützung der lokalen Kreativwirtschaft auch noch ein möglicher Briefkasten.
Der Vorwurf, Dresden würde in seiner Außendarstellung nicht allem Potential gleichmäßig gerecht, ist natürlich nicht neu und auch ich hätte und habe das vor drei Jahren auch noch gesagt. Im Jahr 2012 halte ich das aber für überholt. Eine Stadt wie Dresden, mit einer halben Million Einwohner und einem kulturellen Angebot, das Potential für internationales Interesse schafft, ist natürlich kein homogenes Topfgemüse. Jede/r die/der sich auch nur etwas mit der Stadt auseinandersetzt, weiß, in Dresden gibt es Vielfalt. Die Architektur im Stadtkern, auch wenn diese ebenfalls nicht auf einen Stil zu reduzieren ist, ist natürlich prägend, darüber muss man nicht diskutieren. Gleiches gilt auch für die hier in Vielzahl beheimateten Einrichtungen der sogenannten Hochkultur. Dass diese Leuchttürme Schatten werfen, aus denen heraus es manchmal doppelt schwierig erscheint, wahr genommen zu werden, ist die ausführlichere Beschreibung dessen, was sich nicht mit „Altehrwürdigem“ in Verbindung bringen lässt. Die Frage ist aber weniger, wie sich diese Schwierigkeit beschreiben lässt, sondern vielmehr, wie man es schafft eine Aufmerksamkeit auf Neues zu lenken. Denn jeder Vorwurf bekräftigt auch ungewollt das Bild einer Stadt, die sich mit einem Schlagwort beschreiben ließe.
Wie breit Dresden mittlerweile in der Außendarstellung präsentiert wird, zeigt dabei nicht nur der jüngste Anlauf mit der eigenen Crowdfunding-Plattform „Dresden Durchstarter„, mit der die DMG Dresden als kreativen und innovativen (Wirtschafts)Standort präsentieren möchte, sondern auch schon die Veranstaltungs-Highlights 2012, die im November 2011 in einer Präsentation der DMG identifiziert wurden. Um das zu verdeutlichen, habe ich mir mal die Mühe gemacht und das abgetippt.
Circus Sarrasani – neue Dinnershow „Luminesque“ |
im Verkehrsmuseum: „Under Attack – London/Coventry/Dresden“ |
SemperOpernball |
7. Internationales Springermeeting |
im Lipsiusbau: „Atlas“ – von Gerhard Richter |
im Hygienemuseum: „Leidenschaften“ |
20 Jahre Fraunhofer Institut in Dresden |
Erich-Kästner-Museumsfestival * |
Dresdner Operngala |
Operettenball * |
Internationaler City Lauf |
Tage der Industriekultur mit Dampfloktreffen * |
wissenschaftliches Karl-May Symposium zum 100. Todestag |
Sonderausstellung Karl May – Autographen und Briefe |
Dresdner Nachtskaten |
Staatsschauspielhaus: Premiere: „Die Räuber“ |
Internationales Kurzfilmfestival * |
3. European Guitar Award und String Spring Festival |
Dresdner Walzernacht * |
Traditionelle Dampferparade der Sächsischen Dampfschiffahrt * |
60 Jahre Verkehrsmuseum, Eröffnung Ausstellung „Luftfahrt“ |
Johann Strauss Festival Dresden * |
Vom Dreieck zur Landkarte, 150 Jahre Gradmessung in Sachsen |
7. Außerordentliches Konzert mit Kurt Masur |
Lange Nacht der Theater & St. Petersburger Philharmoniker, Russische Romantik |
42. Internationales Dixieland Festival * |
Dresdner Musikfestspiele*, evtl. Kongress „Wirtschaft und Kultur“ |
20 Jahre HTW, Festwoche |
Karl-May-Festtage Radebeul * |
im Semperbau: 500 Jahre Sixtinische Madonna |
im Militärhistorischen Museum: Ausstellung „Stalingrad“ |
10. Dresdner Lange Nacht der Wissenschaften * |
Ostrale * |
Klassik picknickt * |
Dresdner Schlössernacht und Museums-Sommernacht-Dresden * |
Sachsen-Tour International der Radelite 2012, Race Day 2012, Zwingerfestspiele Dresden * |
Dresdner Stadtfest mit Flottenparade der Sächsischen Dampfschiffahrt * |
Festival OFF EUROPA: Nachrichten aus der Türkei |
Hans-Werner-Henze Festtage an der Semperoper Dresden |
Eröffnung der 100. Spielzeit des Staatsschauspiels Dresden |
DMG Marketingkongress |
im Hygienemuseum: Sonderausstellung „Auf Leben und Tod – Der Mensch in Malerei und Fotografie vom 15. bis zum 21. Jahrhundert“ |
TonLagen – Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik * |
16. Jüdische Musik- und Theaterwoche |
Internationales Laser-Symposium Fiber & Disc (FiSC 2012) |
Dresden Marathon * |
Tschechisch-Deutsche Kulturtage 2012 * |
HOPE Gala Dresden* & UNITY – Deutschlands größte Innenstadtparty * |
yro Games Feuerwerksfestival*, Landespresseball, Congress Award |
Jazztage Dresden * |
CYNETART Festival * |
erstes Operndirigat Christian Thielemanns an der Semperoper „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss |
Internationales Adventsturnier im Springreiten |
578. Dresdner Striezelmarkt * |
Weihnachtsshow der Staatsoperette Dresden |
Adventsvesper des Dresdner Kreuzchores |
Stadtmuseum: „Kindheit in Dresden“ |
Weihnachtsoratorium des Dresdner Kreuzchores |
Frauenkirchen-Festtage 2012 |
Christvesper des Dresdner Kreuzchores |
Silvesterkonzert mit Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden |
Silvester Open Air auf dem Theaterplatz * |
Silvestervesper des Dresdner Kreuzchores |
(* jährliche Highlights) |
Anhand dieser Liste sollte klar werden, Dresden präsentiert sich vielfältig. Ganz konkret wurde die Ostrale auch auf der Facebook-Seite der Stadt (auch von der DMG verwaltet betrieben) erwähnt und verlinkt (I,II,III). Eine Pressemitteilung durch die Stadt zur Veranstaltung gab es ebenfalls.
Wäre es nicht angebrachter, statt einen Tag nach Veranstaltungsende nicht näher definierte Forderungen an eine nicht genau geklärte Empfängerschaft über die überregionale News-Presse stellen, zunächst erst einmal die eigenen Leistungen zu reflektieren? Welches Konzept verfolgt denn die Ostrale, um die reisefreudigen Kunstliebhaber selbst anzusprechen? In Dresden wurde natürlich darüber berichtet, mindestestens drei Mal oder so. Neben ein paar Flyer sind mir vor allem die großen Plakate in nicht geringer Anzahl überall in der Stadt aufgefallen. Aber klebten auch solche Plakaten in anderen Städten? Nicht vorstellbar, wenn man weiß, was sowas kostet.
Eine Facebook-Seite für die Ostrale gibt es natürlich, mit über 6.000 Fans steckt dort auch eine Menge Potential drin. Genutzt wird es bisher eher sporadisch. Einen Twitter-Account gibt es seit letzten Freitag. Das sind drei Tage vor Veranstaltungsende. In Blogs findet die Ostrale auch nicht wirklich statt. Sucht man danach, findet man ein paar Beiträge, aber auch hier wird es einfach keinen geben, der das aufkeimende Potential verfolgen und für weitere Kontakte und eine Vernetzung nutzen könnte. Sicherlich wurde noch in Fachkreisen berichtet, für eine Zulaufsteigerung sorgt das aber sicherlich nicht.
Ich bin mir sicher, es war dann doch nicht so als Tritt in den Allerwertesten gemeint, wie es bei mir ankommt, aber insgesamt bleibt ein merkwürdiger Schimmer. Sich über was und wen auch immer zu beschweren, wenn man so offensichtlich die eigenen Hausaufgaben noch nicht gemacht hat, ist einfach nicht die feine ART.
„Die Unterstützung von der Stadt muss sich erhöhen“, forderte Hilger. Mit 40.000 Euro Förderung seien die Kosten von 43.000 Euro nicht gedeckt. „Die Stadt muss sich überlegen, ob man ein Festival will, das ein internationales Publikum anziehen und Dresden ein ganz anderes Gesicht geben kann“, fügte sie hinzu.
Mit dieser merkwürdigen Kausalität, die in dem Artikel aufgemacht wird, frage ich mich: Was ist das? Ein Rettungsschirm für die Kunst? Ja bitte! Aber auch hier: nicht bedingungslos. Wie wäre es mit einem Eingeständnis, eben nicht alles allein zu können. Dresden ist voll von diesen Selbstverwirklichern mit Tunnelblick und ich prangere das an!
Ergänzung vom 20.09.12 15:04: Wie die Ostrale in einem Kommentar auf ihrer Facebook-Fanpage mitteilte, stammen die verwendeten Zitate nicht wie von mir angenommen, aus den letzten Tagen. In dem Kommentar heißt es: „Danke dapd für diesen wertvollen Beitrag zum Qualitätsjournalismus! Die zeitkritischen Zitate sind sechs Wochen alt. Damit sind sie auch auf keinen Fall ein Fazit der OSTRALE-Macher.“