Die Politik hinkt den technischen Möglichkeiten in Sachen Kommunikation hinterher und das ist in einem gewissen Maße auch normal. Natürlich muss jede technische Neuerung erst einmal auf Herz und Nieren geprüft werden, bevor man sie im großen Maßstab einsetzt. Wie auch in anderen Bereichen ist der Einsatz vorhandener Technik aber nur eine nachgelagerte Frage. Vordergründig geht es nicht darum einen Twitter- oder Facebook-Account oder einen Videopodcast zu führen, sondern die Bereitschaft zum Dialog auf Augenhöhe zu leben. In meinem Beitrag über Kulturvermittlung und das Social Web hatte ich Bettina Riedrich zitiert und auch an dieser Stelle passt der Hinweis, der besagt,
“dass nicht der Einsatz von partizipativen Medien […] die Vermittlung partizipativer [macht], sondern die Einstellung der Beteiligten und ein Umdenken der beteiligten Häuser notwendig ist.”
Auch Politik hat u.a. eine vermittelnde Rolle, der Vergleich mit der Kulturvermittlung ist daher durchaus passend. Aber in welche Richtung wird das „Haus“ Politik umdenken müssen?
Auch in meinem Artikel Die neue Aufklärung oder: Die neue Demokratisierung der Entscheidung zeigen sich Parallelen. Darin hatte ich versucht Ähnlichkeiten des heutigen Medienwandels mit der Alphabetisierung aufzuzeigen. Als Ausgangspunkt hatte ich Anne M. Schüller zitiert, die in einem Artikel eine Veränderung in der Mitarbeiterführung beschrieben und als Aufgabe für Führungskräfte die neue Rolle des
„Katalysators“, des Moderators, des Koordinators und Möglichmachers“,
bzw. der Moderatorin, der Koordinatorin und der Möglichmacherin hervorgehoben hatte. Sie hatte damit den neu heranwachsenden Mitarbeiterschaft im digitalen Zeitalters skizziert, eine immer größer werdende Anzahl von „Digital Natives“, die es gewohnt sind auf Augenhöhe zur Führungskraft zu stehen.
„Digital Natives“ wollen nicht durch Anweisungen oder Kontrolle geführt werden. Für sie zählen Autonomie, Gleichrangigkeit und Selbstorganisation.
Auf Augenhöhe mit Politiker/innen
Auch in der Positionierung gegenüber dem „Haus“ Politik oder auch einzelnen Politiker/innen ist spürbar, dass die Begegnung auf gleicher Höhe gefordert wird und die Rolle des „Katalysators“ gesucht wird.
Susanne Wiest, bekannt geworden über die Petition für ein Grundeinkommen in Deutschland, wurde von Frau Merkel ins Kanzleramt geladen, um gemeinsam mit einigen anderen über Vorschläge und Ideen zur Frage „Wie wollen wir zusammenleben?“ zu reden. In einem Blogpost berichtet sie von diesem Treffen mit Worten „zwischen Erstaunen und Wut„.
Angela Merkel äußerte, bevor ich sprach, sie stünde der Idee skeptisch gegenüber, danach meinte sie, sie sehe die Bedeutung, die die gesellschaftliche Diskussion des Kulturimpulses bedingungsloses Grundeinkommen habe und sie werde das Parlament informieren.
Frau Merkel sagte letztendlich zu den Vorschlägen „das gefällt mir, das gefällt mir nicht. Darum kümmere ich mich mal, darum leider nicht.“
Das ist nicht demokratisch.
Wo und wie leben wir denn zusammen?
Abgründe tun sich auf.
Ich denke, wie gesagt, weiter über das Erlebte nach.
War der Bürgerdialog ein freundlicher Versuch der Bürgernähe, ein Versuch im abgehobenen Politikraum einen Funken Inspiration zu erhaschen, ist er eine PR-Aktion, oder ein Versuch den basisdemokratischen Piraten Wind aus den Segeln zu nehmen, …?
Wenn ich aber im Sinn habe, dass wir hier der Souverän sind, bin ich entsetzt, wie wenig sich unsere Souveränität im politischen Betrieb und Gefüge abbildet.
Die Runde der Eingeladenen wurde bereits vorher über wertende Instrumente (Online-Abstimmung, Auswahl über Expertengremium) ausgesucht. Die Forderung nach der Rolle des „Katalysators“, der Ideen und Statements auf die komplette politische Ebene transportiert, und nicht die des zusätzlichen Filters über die einzeln subjektive Wertung wird überdeutlich. Welchen Verlauf dieser Anstoß innerhalb einer Partei nimmt, wird in der Regel nicht transparent. Immerhin sind die vorgetragenen Themen einsehbar (warum gibt es dort keine Verweise auf ausführlichere Ausarbeitungen der einzelnen Themen) und es gibt eine Zusammenfassung der Veranstaltung.
Zarte Versuche in Dresden
Vor kurzen gab es auch in Dresden eine Möglichkeit, sich als Bürger direkt an die Politik zu wenden. Zweimal im Jahr soll es ab jetzt eine Einwohnerfragestunden geben, für die Fragen an den Stadtrat gestellt werden können. Bei der ersten Einwohnerfragestunde konnten die Fragen bis zwei Wochen vorher per Post an den Stadtrat verschickt werden! Von den insgesamt 54 Fragen, wurden dann aber wieder nur 10 vom Ältestenrat und die Oberbürgermeisterin ausgesucht, die am 21. Juni während einer Stadtratssitzung gestellt werden durften und nach besten Ermessen beantwortet wurden. In der Pressemitteilung heißt es:
Die zehn Fragen, die letztendlich am 21. Juni in der Stadtratssitzung persönlich von den Einreichern gestellt werden, betreffen Themen, die für möglichst viele Bürgerinnen und Bürger von Interesse sind und derzeit besonders im Fokus der Öffentlichkeit stehen.
Warum der Eingang der Fragen, bei deren Eingabe schon klar ist, dass sie im Bestfall öffentlich im Stadtrat vorgetragen werden können, nicht komplett veröffentlicht werden, bleibt unklar. Auch gibt es seitens der Stadt keine sonstige direkte Berichterstattung. In der Stadtratssitzung wurde erklärt, dass allen Fragestellenden die Antworten noch einmal persönlich in Schriftform zugestellt werden, der Mehraufwand dürfte sich also eigentlich gering sein.
Von einer direkten Forderung nach mehr Transparenz in diesem Prozess ist zumindest mir nichts aufgefallen. Erwähnen möchte ich natürlich, dass die Einwohnerfragestunde natürlich nicht der einzige und erste Versuch die Meinung der Dresdner Bürger direkt abzufragen.
Hamburg wird Transparenz-Hauptstadt
Währenddessen ist Dresdens Partnerstadt Hamburg ist wiederum einen entscheidenden Schritt weiter. In einer Pressemitteilung des Vereins Mehr Demokratie e.V. heißt es:
Ausgelöst durch eine Volksinitiative bekommt Hamburg ein deutschlandweit bislang einmaliges Transparenzgesetz. Künftig müssen Politik und Verwaltung Dokumente von öffentlichem Interesse unaufgefordert und kostenfrei im Internet zugänglich machen.
Aus einem Informationsrecht der Bevölkerung werde eine Informationspflicht der Behörden und mache Hamburg zu einer Transparenz-Hauptstadt.
Viele Daten und Dokumente werden mit dem neuen Gesetz nicht mehr nur auf Antrag zugänglich, sondern frei im Internet verfügbar sein. Zu den Informationen, die dort von Amtswegen veröffentlicht werden müssen, zählen Senatsbeschlüsse, Gutachten, öffentliche Pläne, Geodaten, Subventionsvergaben und Bau- bzw. Abrissgenehmigungen. Veröffentlichungspflichtig sind auch alle Verträge über 100.000 Euro, die im weitesten Sinne die öffentliche Daseinsvorsorge betreffen. Wesentliche Unternehmensdaten städtischer Beteiligungen inklusive der jährlichen Vergütungen und Nebenleistungen der Leitungsebene sind ebenfalls zu veröffentlichen. Personenbezogene Daten sowie juristisch klar definierte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse bleiben aber geschützt.
Köln soll „Internetstadt“ werden
Im Januar diesen Jahres wurde von der Verwaltung der Stadt Köln ein Gesamtkonzept zu „Internetstadt Köln“ vorgelegt. Die Erstellung geht zurück auf einen Beschluss des Rates der Stadt Köln vom 20. Juni 2010. Das Konzept ist sehr umfassend und konnte bis zum 15. Juni auf einer Plattform des Forum Netzpolitik der KölnSPD (Nachtrag: Der Link istkonzept.forumnetzpolitik.de geht leider nicht mehr) diskutiert werden.
Internetstadt Köln
Ziele – Strukturen – Zusammenarbeit – Unterstützung
- Das Multi-Stakeholder-Projekt „Internetstadt Köln“
Konzeption – Das Kölner Projekt – Forum – Themen-Module – Steuergruppe – AG Internet – Dokumentation und Information- Das „Bildungsnetzwerk Internet-Kompetenz“
Digitaler Graben – Multimediales Lernen – Fachkräftemangel – Multimediales Lernen – Internet-Kompetenz – Bildungsnetzwerk- Open Government, „Digitale Bürgerdienste“, Partizipation
OpenData – Mobile Angebote – „KölnerApps“ – Social Media – Absender-Authentizität – E-Participation – Open Government- Unterstützung der Internetwirtschaft
Datenerhebung Internetwirtschaft – Nutzungsatlas – CoWorking – Stadtmarketing – Know-how-Transfer – Tourismus – Events- Ausbau der Internet-Infrastruktur
Wettbewerbsfähigkeit – Technik und Kosten – Versorgungsdichte – Clearingstelle und Region – Chancengleichheit – Kongress-Support- Neue Arbeits- und Lebensmodelle
Mobiles und dezentrales Arbeiten – Verkehr und Stadtentwicklung – Demografischer Wandel und Gesundheit – Kunst und Kultur- Internet-Technologie und kommunale Infrastruktur
Shared Workspaces – Cloud-Dienste – Mobile Arbeitsumgebung – Flexibles Arbeiten – IntraNet 2.0 – Verkehrsvernetzung – Region
„politisch gewollt“ wird verschwinden
Eine wesentliche Änderung, die aus diesen Beobachtungen erkennbar wird, ist eine Neuverteilung im Entscheidungsprozess. Über die größere Transparenz und die eingeforderte Augenhöhe müssten Entscheidungen heute schon stärker als noch vor fünf Jahren nachvollziehbar sein. Klingt logisch, ist es auch. Aus einem Informationsrecht der Bürger wird eine Informationspflicht der Behörden und der Politiker/innen. Merkbar wird dies auch dann, wenn wir nicht mehr von „politisch gewollten“ Projekten oder Ereignissen sprechen.
Noch mehr denn je wird es darum gehen, Instrumente zum Abfragen der Meinung zu bedienen. Um es ganz scharf auszudrücken, ist es sogar denkbar, dass in Zukunft nicht nur Verwaltung sondern auch Politik tatsächlich mehr als eine Art Dienstleistung verstanden werden kann, da weniger Entscheidungen von Politer/innen getroffen werden, sondern diese nur in erster Linie und zu allererst dafür zu sorgen müssen, dass Informationen ständig und ausreichend zur Verfügung stehen.
Von der Idealbeschreibung der Politik heute ist das auch gar nicht so weit entfernt, tatsächlich ist auch ein Großteil der Informationstechnik schon vorhanden oder denkbar. Es scheint nur noch eine Frage der Zeit und der Richtung, wie und wann diese tatsächlich umfänglich zum Einsatz kommt.