Im vergangenen Jahr begannen verschiedene Leute in meinem Umfeld, im Zusammenhang mit Marketing und Vermittlung über das Social Web, das Geschichten erzählen zu thematisieren. Stark geprägt hat mich dabei die Vorlesungsreihe zur Ausstellung „Scheinbar Sein. Faktisches und Virtuelles“ der Altana Galerie. Immer wieder wurde bei diesen Vorlesungen das Zusammenspiel von Fiktion und Realität in Beziehung zur Wahrnehmung gestellt. „Transmedia Storytelling – die Kunst des digitalen Erzählens“ lautete das Thema der stARTconference und es erschien bereits im Vorfeld der Konferenz ein eBook „Transmediales Erzählen“. Frank Tentler eröffnete das stARTcamp Dresden mit einem Vortrag über Transmedia Storytelling und Marcus Brown (hier im Video auf der Social Media Summit in Wiesbaden), sowie Patrick Breitenbach rundeten das Themenfeld mit beeindruckenden Beispielen und Handlungsempfehlungen ab. Damit ist eigentlich alles über Storytelling gesagt. Fast alles.
Geschichten erzählen wir Menschen uns schon sehr lange. Die ältesten Zeugnisse des Geschichten erzählens sind wahrscheinlich die Höhlenmalereien. Was sich seit damals aber geändert hat, sind unsere Werkzeuge.
Wenn man mal etwas genauer über das Geschichten erzählen nachdenkt, fällt auf, dass sich die Geschichten und das Erzählen einander bedingen. Eine Geschichte, die nicht erzählt wird, ist genau genommen nicht existent. Selbst wenn ich Geschichten erfinde, erzähle ich sie, z.B. mir selbst. Auch wenn ich allein eine Geschichte erlebe, ist das der Fall, so gesehen erzählt sich die Geschichte dann selbst. Auch anders herum, Erzählen ohne Geschichten dabei zu transportieren, macht keinen Sinn. Es geht vielleicht sehr ins Detail, aber wenn ich auf die genaue Wortwahl achte, wird mir dieser Sinn sehr viel bewusster. Nicht ohne Grund wird von Tatsachen eher berichtet. Wenn ich einen Gegenpol zu den Geschichten als solches definieren müsste, würde ich den genau da, bei Tatsachen und Fakten suchen. Fakten sind Informationen, die sich in irgendeiner Art nachweisen lassen. Ich kann z.B. messen, wie viel °C eine Herdplatte auf höchster Stufe hat. Die Temperatur in °C dieser Herdplatte ist dann zunächst erst einmal eine reiner Fakt, eine Information, die wir nachgeprüft haben. Das Beispiel mit der heißen Herdplatte ist allgemein bekannt. Wenn wir als Eltern es nicht schaffen unsere Erfahrungen mit heißen Herdplatten den Kindern auf andere Weise zu vermitteln, lernen sie es erst, wenn es weh tut. Was dann passiert, ist das Anreichern der Information durch eigene Erfahrungen. Je emotionaler dieser Erfahrungen vollzogen werden, desto stärker verbinde ich diese Informationen mit mir selbst. Wie ich es schon im Artikel „Gestaltbare Welten“ beschrieben habe, sind Emotionen unser individueller Pinselstrich. Etwas, was mich nicht „anhebt“, hat irgendwie auch nicht viel mit mir zu tun. Natürlich gilt das nicht nur für negativen Erfahren, sondern genauso auch für die positiven. Wenn man diesen Prozess wiederum weiterdenkt, wird auch klar, warum uns Lernen leichter fällt, wenn wir etwas in der Praxis ausprobieren, als wenn wir etwas im Gegensatz dazu rein theoretisch lernen müssen. Den Begriff Wissensvermittlung müsste man daher eigentlich auch ersetzen durch ein Angebot zum Wissenserwerb. Bildung ist kein Prozess, bei dem man einem Menschen Wissen eintrichtert. Bildung heißt, dass wir uns selbst bilden. Wir werden nicht gebildet, sondern wir reichern uns mit Erfahrungen an. Um das Beispiel mit der heißen Herdplatte abzuschließen, natürlich merken wir, dass eine Herdplatte heiß ist und wenn es besonders weh tut, werden wir uns eine Weile an diese Geschichte erinnern. Bei so elementaren Dingen wie Hitze und Kälte lernen Mensch aber zum Glück recht schnell und es reicht, wenn wir ein oder zwei Mal ähnliche Erfahrungen sammeln, damit der abstrakte Begriff „heiß“ auch ohne körperlichen Schmerz und auch ohne diese Geschichte eine entsprechende Bedeutung bekommt.
Wenn ich Storytelling auf einen einzelnen Punkt fokusieren müsste, wäre dieser genau in der Mitte zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer. Storytelling funktioniert über Medien, also über Transportmittel, über Mittler. Storytelling ist die Verbindung zwischen zwei Individuen, die sich gegenseitig diese Geschichten erzählen.
Als nächstes möchte ich einen kurzen Schwenk zur Kultur nehmen, genauer gesagt zum Kulturbegriff. Zu beschreiben, was Kultur ist, ist nicht so einfach. Aus meiner Sicht benutzen viele das Wort Kultur und meinen aber beispielsweise konkret die Arbeit, die an Kultureinrichtungen vollzogen wird oder sie meinen das kulturelle Angebot. Tatsächlich verwenden im öffentlichen Diskurs wohl die wenigesten den Begriff im Sinne einer gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Diskussionen, wie die um eine Leitkultur, haben daran mitgewirkt, dass dies unpopulär ist. In diesem Falle möchte ich aber tatsächlich über Kultur reden, also über Wertvorstellungen als die konstitutiven Elemente, wo sie Sinn und Bedeutung innerhalb eines Sozialsystems (Gruppe, Gesellschaft, etc. ) defininieren. Noch besser gefällt mir sogar noch die Beschreibung von Kultur nach Peter Kruse als gemeinsame Bedeutungsphäre. Die gemeinsame Bedeutungssphäre unterstützt noch deutlicher den heterogenen Kulturbegriff (Blickrichtung vom Individuum aus), welcher gegenüber einem homogenen Kulturbegriff (Blick von oben auf Gesellschaft) besser zur Beschreibung der global vernetzten Welt passt. („heterogener Kulturbegriff“ habe ich bei Nora Krzywinski im Vortrag bei unssonstso #29 gehört und adaptiert.)
Wir sollten uns fragen, wie diese gemeinsamen Bedeutungssphäre entstehen und natürlich ist das ein kommunikativer Prozess. In diesem Zusammenhang muss man Paul Watzlawick mit „Man kann nicht nicht kommunizieren!“ zitieren. Um hier gleich einen Verbindung zum Storytelling zu ziehen, natürlich ist nicht jeder Fitzel Kommunikation auch gleich eine Geschichte. Wenn wir aber das Vorhandensein einer emotionalen Ebene, eine Information zu einer Geschichte werden läßt, dann sind es eben gerade die gemeinsamen Geschichten, die uns eine gemeinsame Bedeutungssphäre erlangen läßt.
Als letztes möchte ich auf den Begriff der Gesellschaft eingehen. Auf Wikipedia finden sich mehrere Definitionen für Gesellschaft (Soziologie). Gesellschaft ist …
[…] eine durch unterschiedliche Merkmale zusammengefasste und abgegrenzte Anzahl von Personen, die als soziale Akteure miteinander verknüpft leben und direkt oder indirekt interagieren;
die Gesamtheit der Verhältnisse zwischen den Menschen (Marx);
in der kommunikationstheoretischen Konzeption Niklas Luhmanns wird die Gesellschaft als „alle füreinander kommunikativ zugänglichen Ereignisse“ beschrieben.
Um das abzukürzen, würde ich hier feststellen, dass der Unterschied zwischen den Individuen und der Gesellschaft deren Verbindung ist.
Spätestens jetzt sollte klar werden, dass ich die unweigerliche Verknüpfung von Gesellschaft, Kultur und dem Geschichten erzählen hervorheben möchte. Ich möchte sogar noch einen Schritt weiter gehen und die These aufstellen, dass erst durch das Geschichten erzählen Kultur entstehen kann und auch erst dadurch eine Gesellschaft erkennbar wird.
Storytelling ist zwar genau genommen auch so etwas wie ein Werkzeug, aber es sind philosophisch gesehen immer Werkzeuge, wie unsere körpereigenen Sinne auch, die uns unsere Umwelt erfahren lassen. Der Erhalt von Kulturgütern ist demnach vollkommen zurecht eine gesellschaftliche Aufgabe. Um Geschichten auch immer wiederlebbar zu halten, ist es deswegen auch wichtig nicht nur von allem eine digitale Kopie zu erhalten, sondern auch deren Originale, um so lange wie möglich die Echtheit unserer Geschichten nachprüfen zu können. Es muss aber auch möglich sein die Strukturen, die dem Erhalt dienen sollen ab und zu zu hinterfragen. „Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren“ (Gorbatschow 1989) (via)