In den vergangenen zwei Jahren fanden in Berlin mehrere Jugendbarcamps im Rahmen des Projektes „Jugendkultur bewegt – Partizipation mit Kultureller Bildung“ oder kurz „Barcamp eKultur“ statt. Verantwortlich für das Projekt der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin (LKJ Berlin e.V.) zeichnet Claudia Engelmann mit der ich während der Abschlussveranstaltung am 22.09.15 im Jugendkulturzentrum Königstadt in Berlin ein Interview führen konnte.
Steffen:
Hallo Claudia,
das Beste ist, ich frage erst einmal, wer bist du, magst du dich kurz vorstellen?
Claudia:
Ja, ich bin Claudia Engelmann, ich arbeite seit gut vier Jahren bei der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung in Berlin. Ich bin ausgebildete Sozialarbeiterin und habe einen Master in Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik gemacht und habe jetzt für zwei Jahre das Projekt in Berlin betreut „Jugendkultur bewegt – Partizipation mit kultureller Bildung“, wo wir ausgehend von den Jugendkulturzentren und den Medienkompetenzzentren Barcamps durchgeführt haben für und mit Jugendlichen.
Steffen:
Wie seid ihr darauf gekommen Barcamps zu organisieren?
Claudia:
Ich war im Januar 2013 auf einer Veranstaltung vom Medienkompetenzzentrum „Barrierefrei Kommunizieren“ und da war Daniel Seitz gewesen, der das GamesCamp vorgestellt hat. Er hat schon Barcamps selber mit Jugendlichen zusammen organisiert und mich hat das Format total beeindruckt. Ich habe schon immer im Bereich der Partizipation gearbeitet und finde auch, dass man an Neuen Medien nicht mehr dran vorbei gehen sollte und vor allem nicht im Bereich der Jugendkulturarbeit. Ich hab dann überlegt, ob und wie die Methode vielleicht nutzbar gemacht werden kann für den Bereich der kulturellen Bildung und der Jugendkulturarbeit und bin dann in die Antragstellung bei Aktion Mensch gegangen und hab überlegt, wie das funktionieren kann.
Steffen:
Was habt ihr konkret gemacht?
Claudia:
In der Projektumsetzung?
Steffen:
Ja.
Claudia:
Wir haben angefangen mit einer großen Kick-off Veranstaltung, wo wir selber erst einmal ein Barcamp organisiert haben, auch in den unterschiedlichen Sinnesebenen. Wir hatten auch Sprachdollmetscher_innen, wir hatten einen Live-Stream und wir hatten Graficrecording. Wir haben erst einmal die Leute da abgeholt, wo sie waren. Wir haben den Begriff E-Partizipation erklärt, wir haben einen Vortrag zum Thema Barcamp gehört und sind dann selber in ein Barcamp gegangen. Wir haben das in Sessions nachmittags ausprobiert. Danach bin ich durch Berlin gereist in die Bezirke zu den Jugendämtern und zu den Jugendkulturzentren, habe das Projekt vorgestellt und versucht Teilnehmende zu finden.
Steffen:
Nun ist es ja immer schwierig, jemanden ein Barcamp zu erklären, der das noch nicht kennt. Hast du da einen Weg gefunden, wie du das Jugendlichen leicht verständlich machst?
Claudia:
Man sollte das Wort nicht voran setzen. Eigentlich ist es eine Jugendtagung in einem ganz offenen Format. Gestern ist es mir erstmalig gelungen vor 150 Jugendlichen offensichtlich relativ schnell zu erklären. In fünf Minuten, was dieses Format ist und was man damit machen kann. Ich bin mittlerweile so, dass ich das Wort Barcamp erst hinten anstelle und doch eher mit dem Tagungsbegriff arbeite.
Steffen:
Aber es dauert noch fünf Minuten.
Claudia:
Es dauert immer noch fünf Minuten.
Steffen:
Weil fünf Minuten sind ja immer noch relativ viel. Okay, also frage ich dich jetzt nicht, wie du das konkret erklärst, weil das klingt sehr aus ausführlich.
Claudia:
Wenn ich es runterbrechen soll für die, die schon mal Berührungspunkte damit hatten: Es ist ein Tagungsformat, das Raum und Zeit bietet, um eigene Themen zu setzen. Das passiert parallel und alle, die kommen, werden als Expert_innen verstanden und sind nicht mehr nur Konsument_innen, sondern auch aktive Mitgestalter_innen des Tagungsprogramms. Man trifft sich also zu einem Thema, im Bereich der Jugendkulturarbeit und kulturellen Bildung zu einem künstlerischen und jugendkulturellen Thema und kann von einem Zeichenkurs bis hin zu einer politischen Diskussionsrunde alles machen.
Steffen:
Kannst du jetzt im Nachgang etwas zusammenfassen ob und warum Barcamps für die Jugendkulturarbeit besonders wertvoll sind?
Claudia:
Weil die Jugendlichen mir das selbst gezeigt haben und das ist auch das, was heute noch mal in den Ergebnispräsentationen von den Jugendlichen rüber gekommen ist. Dass sie das schätzen, mal fernab von Frontalunterricht ernst und wahrgenommen zu werden mit ihren Themen, Wünschen und Vorstellungen, die sie haben und dass das Format Platz für jeden bietet.
Steffen:
Wie wichtig ist es, dass so ein Barcamp kostenfrei ist?
Claudia:
Die Zugänge müssen gewährleistet sein, wenn wir im Bereich der jugendkulturellen Bildungsarbeit unterwegs sind. Wenn wir bei einem Barcamp-Format im Bereich von Fachkräften Schulungen anbieten, muss es nicht zwangsläufig kostenlos sein. Aber gerade für Jugendliche, um die Barrieren möglichst niedrig zu halten und den Tag auszustaffieren mit allem vom Catering und den Räumen, erachte ich es als besonders notwendig, gerade für Jugendliche, das Barcamp kostenfrei anzubieten.
Steffen:
Das heißt, für ein Barcamp für Jugendliche braucht man immer einen anderen, um das zu finanzieren.
Claudia:
Ganz ohne Geld geht es nicht in der Organisation. Die günstigsten Barcamps, die wir veranstaltet haben, sind 2.000 Euro und das teuerste war 10.000 Euro.
Steffen:
Die Barcamps, die im Technikbereich agieren, haben Sponsoren. Ist so etwas auch möglich im jugendkulturellen Bereich?
Claudia:
Die Jugendlichen selbst haben beispielsweise Anträge bei Aktion Mensch gestellt. Die Berliner Sparkasse hat gefördert. Dann gab es noch Landesprogramme, wie der Jugenddemokratiefonds, den es in Berlin gibt. Da gibt es durchaus Geld für jugendliches Engagement und da muss man dann Jugendliche befähigen, dass sie selber dort einen Antrag stellen können.
Steffen:
Aber Unternehmen, die das ganze als Werbeplattform ..
Claudia:
… an die sind wir nicht herangetreten. Das war die ursprüngliche Idee und das hätten wir auch gebraucht, wenn wir das Projekt ganz ganz groß aufgezogen hätten. Wenn wir wirklich alle zwölf Bezirke erreicht hätten, dann wäre das sicherlich notwendig gewesen.
Steffen:
Und das ist auch denkbar?
Claudia:
Das ist denkbar. Das Interesse ist da. Ich habe auch Gespräche mit Adidas und SAP und so geführt. Die können grundsätzlich sich vorstellen, da auch ins Sponsoring zu gehen, aber dann auch in einer Größenordnung. Diese Probier-Barcamps am Anfang sind für sie natürlich unattraktiv. Jetzt wo es 109 Jugendliche sind im Jugendtheaterbereich, ist das natürlich von einem anderen Interesse.
Steffen:
Über was wollen Jugendliche reden. Was ist eine Session, die bei dir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat?
Claudia:
Ich finde es spannend, dass immer wieder politische Themen wie Rassismus, Diskriminierung, Toleranz und die Flüchtlingsproblematik aufgegriffen worden. Und auch Armut. Zu Containern gab es eine Session von einem Jugendlichen. Fand ich sehr beeindruckend und parallel daneben in der anderen Session irgendwie mal Einrad-Fahren zu lernen. In 45 Minuten die ersten Kniffs und Tricks da vorgeführt zu bekommen, wie sowas funktionieren kann, das ist was, was dann hängen bleibt. Auch so ein Song von Cenk, der in 45 Minuten von mehreren Session-Teilnehmer_innen gemeinsam geschrieben wurde und mittlerweile im Tonstudio aufgenommen ist und auch vermarktet werden kann. Das sind tolle Sachen.
Steffen:
Jetzt wurde heute auch die Evaluation vorgestellt, da fand ich einen Punkt interessant, nämlich, dass sich die Jugendkulturzentren über Barcamps auch profilieren können. Wie stellt man sich das vor?
Claudia:
Die Jugendkulturzentren müssen halt auch weiterentwickelt werden, konzeptionell weiterentwickelt werden. Im Zuge der Ganztagsschul-Entwicklung und in der Digitalisierung und dass die Zeitfenster von Jugendlichen immer enger werden, muss Jugendkulturarbeit reagieren und da ist Barcamp sicherlich ein Format, was sie für sich nutzbar machen können, um relativ kostengünstig beispielsweise wirklich die Bedürfnisse der Jugendlichen aufzunehmen und die dann auch weiter zu entwickeln. Oder so wie es die JTW Spandau gemacht hat. Auch mal den Mut zu haben, zu so einem Spielplan und zu sagen: „2016 entscheidet ihr, was wir eigentlich machen in unserer Einrichtung und nicht mehr wir.“ Dazu gehört Mut und der ist im Bereich der Jugendkulturarbeit noch notwendig. Den Leuten zu zeigen, dass es funktionieren kann und dass es in irgendeiner Form noch weiter geht. Dann ist es natürlich ein Ansehen bei den aktuellen Studien, die es überall immer wieder gibt, dass Medienkompetenz im Fachkräftebereich nicht ausgeprägt ist. Und da kann und da muss auch noch weitergearbeitet werden.
Steffen:
Noch einmal ganz konkret zu dem Stichwort „Profil“. Wenn man sich heute als Jugendkulturzentrum dem Thema annimmt, ist man bestimmt immer noch einer der ersten, oder?
Claudia:
Genau.
Steffen:
Sollte es mehr Jugendbarcamps geben und wenn ja, warum?
Claudia:
*lacht* Immer ja, schon alleine, weil ich selber gern auf Barcamps gehe und das ganz spannend finde. Weil so ein Thema wie Pop Asia ist an mir vorüber gezogen. Ich habe sie als jugendkulturelle Gruppe gar nicht wahrgenommen, obwohl ich ganz viele Jahre schon im Bereich der Jugendkulturarbeit unterwegs bin, sind die bei mir nicht auf’m Schirm gewesen. Und alleine um das mitzukriegen, „Was interessiert Jugendliche?“, in jedem Fall! Ganz viele Barcamps zu den unterschiedlichsten Themen, wo ich mir dann auch noch aussuchen kann, was für mich auch spannend ist, um hinzugehen.
Steffen:
Jetzt ist es die Frage, es gibt ja verschiedene Akteure, die jetzt aktiver werden können, damit es mehr Jugendbarcamps gibt. Sollte die Politik aktiv werden? Sind es die Jugendkulturzentren und die Akteure der Bildungsarbeit oder sind es tatsächlich die angepeilten Teilnehmer und Teilgeberinnen? Wer sollte als erstes aktiv werden?
Claudia:
Wir brauchen Multiplikatoren! Die müssen in erster Linie Fachkräfte sein, die auch eine Ausstrahlung in die Verwaltung und in die Politikebene haben. Weil es muss finanziell abgesichert sein in irgendeiner Form, dass sich Leute dem Thema überhaupt widmen können. Das ist ja ein Hinderungsgrund gewesen in Berlin, der viele Menschen davon abgehalten hat, dieses noch nicht bekannte Format überhaupt auszuprobieren. Wenn ein Jugendzentrum nur noch mit einer Stelle besetzt ist, wird niemand laut „Hier!“ rufen und sagen: „Ich möchte unbedingt jetzt auch noch ein Barcamp machen.“
Steffen:
Was muss dafür als erstes geschehen? Was wäre jetzt ein Schritt, den man heute angehen könnte?
Claudia:
Der politische Wille muss da sein, zu sagen: Wir wollen das! Wir wollen das und stellen so eine Stelle, wie ich jetzt über zwei Jahre gemacht habe als halbe Stelle in den Landeshaushalt ein. Dann gibt es mich als Multiplikatorin, die in die Berliner Bezirke oder auch bundesweit wirkt, wo auch immer man so eine Koordinierungsstelle einsetzt. In Sachsen und Sachsen-Anhalt geht es genauso. Es gibt die unterschiedlichsten Sachen, aber es muss halt jemand machen. Gestern war ich beim Bundesverband Jugendkulturarbeit in der Evangelischen Kirche und da war auch jemand aus Sachsen dabei gewesen, der auch gleich angesprungen ist und gesagt hat: So etwas brauchen wir im Kirchenbereich und der Jugendverbandsarbeit ja auch. Das war denen noch gar nicht bekannt gewesen. Dafür braucht es dann Menschen wie mich oder dich, die für die Sache einstehen und die nach Außen tragen. Und das können wir nicht immer nur ehrenamtlich machen, sondern auch wir müssen unseren Lebensunterhalt verdienen.
Steffen:
Zwei Jahre. Was ist dein persönliches Fazit?
Claudia:
Ich bin müde. Ich bin müde, es war anstrengend gewesen, aber .. umso schöner. Also umso schöner, am Ende heute hier dagewesen zu sein, dass die jungen Menschen gekommen sind, dass das die jüngste Jugendtagung gewesen ist, auch mit Fachkräften gemischt, dass der Austausch wieder stattgefunden hat. Davon bin ich überzeugt, das ist ein ganz großartiges Konzept und da muss noch mehr passieren. Dass wir neu denken wie der Nachwuchs von uns gefördert werden kann.
Steffen:
Als Abschlussfrage: Was ist dein nächstes Barcamp? Weißt du das schon?
Claudia:
Der Partizipationskonkress von der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, die sich dazu bereit erklärt haben, ein sonst sehr sehr klassisches Kongressformat der BKJ zu öffnen und zu sagen: Wir machen ein Panel, wo es drei Sessionslots gibt mit dem Barcamp-Format. Wo die Jugendlichen mit mir zusammen das vorbereiten und wir die Möglichkeit haben 30 Sessions anzubieten.
Steffen:
Okay. Vielen Dank!
Claudia:
Gerne!