Der Konflikt zwischen den Bedürfnissen der Kunst und denen der Unversehrtheit an der eigenen Person haben so etwas wie eine lange Tradition. Nicht unbedingt im positiven Sinne, Spaß machen diese Auseinandersetzungen mit Sicherheit nicht. Eine Abfrage der Suchmaschine listet eine ganze Reihe solcher Beispiele auf. Oft mit sehr differenzierten Bewertungen und auch unterschiedlichen Ausgängen.
Dass der Konflikt durch die technisierte Welt zunimmt, zeigt ein aktueller Fall. Es geht um Straßenfotografie. Eine Frau erkennt sich selbst auf einem Foto, welches der Straßenfotograf Espen Eichhöfer von ihr gemacht und ausgestellt hat. Gefragt hat er sie nicht. Der Fotograf beruft sich auf die Kunstfreiheit und „nennt Vorbilder wie Henri Cartier-Bresson, Garry Winogrand oder Robert Frank, deren Arbeiten noch heute Einblicke in das Alltagsleben früherer Epochen erlauben“, schreibt die Berliner Zeitung. Die Frau verklagt ihn auf Unterlassung und Schadensersatz.
Das Gericht lehnte die Schadenersatzforderungen zwar ab, sah aber die Verletzung der Persönlichkeitsrechte für gegeben. In einer Revision will Eichhöfer jetzt Klarheut schaffen. Das ist der generelle Lauf, dort wo Gesetze nicht eindeutig genug sind oder wie eher in diesem Fall gar nicht eindeutiger sein können, müssen Gerichtsentscheidungen auf höheren Instanzen für Klarheit über die Auslegung schaffen. Um das tun zu können, startete Espen Eichhöfer eine Crowdfunding-Kampagne, auch der große Zuspruch und die zahlenmäßig starke Unterstützung zeigt, wie wichtig die Klärung darüber scheint.
Der Spiegel hatte sich bereits im Oktober mit dem Falls auseinander gesetzt und machte gerade die Bedeutung dieses Konflikts auf künstlerischer und gesellschaftlicher Ebene deutlich:
„Es lohnt sich, das Vorbringen der Parteien im Urteil so genau nachzulesen, weil hier fast exemplarisch die wichtigsten Argumente und Motive der einen Seite in dieser andauernden und sehr grundsätzlichen Diskussion sichtbar werden: die Kunstfeindlichkeit, das verzerrte und mit Misstrauen belegte Bild von Öffentlichkeit und die Ausdehnung des Privaten bis zur Usurpation noch der letzten Straßenecke.
Die Stadt als Bühne verschwindet in dieser Argumentation, die Vorstellung der Straße als Ort der Gleichheit, der Sichtbarkeit, des Alltags, der sozialen Realität, der Geschichtsschreibung, der Erinnerung, der Kunst.“
Der Spiegelautor verweist auch auf einen Fall aus dem Jahr vorhergehenden Jahr 2013, Eine frühere Freundin eines Autors hatte sich in einem Roman wiedererkannt,
„das Gericht gab dem Persönlichkeitsrecht den Vorrang vor der Freiheit der Kunst und löste damit Verunsicherung bei vielen Schriftstellern aus.
[…]
Das verändert die Kunst, das verändert aber auch die Gesellschaft, die sich immer mehr hinbewegt zu einer Verrechtlichung vieler Lebensumstände und zu einer Verbotsgesellschaft: vom Rauchen über missliebige Parteien wie die NPD bis hin zum dunkel pochenden Herzen des menschlichen Begehrens.“
Auch um die Kunstfreiheit ging es auch bei einer anderen Crowdfunding-Kamapagne, der Berufung im Wanderhurenstreit. Auch hier kam das Geld relativ schnell zusammen. Der Gericht entschied sich zuletzt auch für die Kunst und deren Freiheit. Da der Verlag Volant & Quist die Kosten für die Berufung dadurch nicht selbst tragen musste, wurde dieses Geld nach Abzug der Ausgaben für Crowdfunding-Gegenleistungen dann dem Kurt Tucholsky Literaturmuseum Rheinsberg gespendet.