Da am 31. Januar 2016 das dreimonatige Moratorium nach dem „Safe Harbor“-Ende ohne Nachfolger auslief, begann ich, mich damit etwas näher damit zu beschäftigen. Das Zwischenfazitt: Das Thema Datenschutz ist komplex. Denn es geht um etwas, das zum einen virtuell (also körperlos) daher kommt und zum anderen eine allgemeingültige Unterteilung in gut und böse oder richtig und falsch nicht zulässt. Kommunikation ist allgemein nicht – und erst recht nicht in der für uns heute gewohnten Qualität – ohne Preisgabe eigener personenbezogener Daten denkbar. Kommunikation funktioniert unter anderem über Vertrauen, d.h. je nach Anlass und Zweck muss ich Daten von mir preisgeben. Vetrauen also. Spätestens hier kommt auch die verschiedenen Überwachungsprogramme der USA mit ins Spiel. Wir alle kennen diesen Satz: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er doch die Wahrheit spricht.“ Ich möchte nicht so weit gehen und behaupten, dass nach den Snowden-Leaks keine Lösung mehr denkbar ist. Es reicht aber auch nicht, ein zweites „Safe Harbor“-Abkommen unter neuem Namen aufzulegen, so wie wir es gestern evetuell mit dem „EU-US Privacy Shield“ präsentiert bekamen.
Am 06. Oktober 2015 erklärte der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung der Europäischen Kommision vom 26.07.2000 für ungültig. Das „Safe Harbor“-Abkommen sollte ursprünglich sicherstellen, dass das Verarbeiten und Vorhalten personenbezogener (Kunden-)Daten der Bürger des europäischen Wirtschaftsraums, in den USA unter Prinzipien stattfindet, die dem europäischen Datenschutz genügen. Dass es ein solches Abkommen braucht, liegt daran, dass die USA (ich beziehe mich auf Aussagen von Max Schrems) nicht einmal ihren eigenen Bürgern Rechte einräumt, die ein Äquivalent zum europäischen Datenschutzniveau darstellen würden.
Warum eigentlich Datenschutz?
Nachdem der EuGH das „Safe Harbor“-Abkommen für ungültig erklärt hatte, las man vermehrt von den Bemühungen der Unternehmen, eigenständige sogenannte „Standardvertragsklauseln“ abzuschließen und es kam auch mir lange so vor als müsse man vor allem eine neue Lösung für die Wirtschaft finden. Richtiger ist aber, dass das Problem, welchse die Unternehmen jetzt haben, nur ein Folgeproblem ist. Denn es geht nicht darum, dass etwa die Frimen zu unfähig. Die Frage davor lautet nämlich: Warum brauchen wir eigentlich diesen Datenschutz? Eine der vielen Antworten lautet dabei auch: „Datenschutz ist Schutz vor dem falschen Staat.“ (via)
Diese Antwort und noch einige mehr bekam ich übrigens via Twitter, denn ich hatte diesen Aspekt schon einmal in einem Podcast gehört, ich wußte aber nicht, wonach ich für die Recherche suchen sollte. Also stellte ich meine Frage meinen Followern: „Warum gibt es eigentlich #Datenschutz?“ Wirklich? Auf Twitter? Also genau dieses Twitter, wo man aufpassen muss, nichts Missverständliches zu schreiben? Nicht etwa wegen der eigenen Follower, sondern weil man Gefahr läuft auf einer Antiterrorliste der US-Regierung zu landen? Um dem Missverständnis gleich vorzubeugen: Datenschutz kann zwar auch zur Folge haben, gar nicht erst fälschlicherweise auf so einer Liste zu landen, noch wichtiger ist aber auch, die faire Chance eingeräumt zu bekommen seine Unschuld nachzuweisen. Und dazu gehört dann, dass man überhaupt erst mitbekommt, dass man auf einer solchen Liste steht.
Bleiben wir noch kurz in den Vereinigten Staaten von Amerika, denn in jenem Twittergespräch kam auch ein spannender Verweis auf die Präambel der Unabhängigkeitserklärung der USA. Denn wenn man vom „Schutz vor dem falschen Staat“ spricht, ist damit das Verhältnis zwischen Staat und seinen Bürgern gemeint.
„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness. — That to secure these rights, Governments are instituted among Men, […]“
was übersetzt wird mit:
„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit. Daß zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, […]“
Dies ist nach Aussage meines Twitter-Gesprächspartners als Begründung für den Staat zu interpretieren:
„Der Staat begründet sich also über die Sicherung der Rechte der Menschen.“
Ich finde das bemerkenswert, denn: Wenn man bedenkt, dass sämtliche Überwachung mit der Terrorabwehr begründet wird und dieser Terrorabwehr schlussendlich die gleiche demokratische Staatsphilosophie zugrundeliegt, entsteht in dem Augenblick ein gravierender Widerspruch, in dem die Überwachung anlasslos durchgeführt wird, oder Kommunikationsunternehmen über sogenannte „National Security Letter“ ohne Richtervorbehalt zur Herausgabe aller Daten gezwungen werden und zusätzlich auch nicht darüber reden dürfen. (siehe auch Lavabit) Es drängt sich regelrecht die Frage auf, wie ein Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg ausgegangen wäre, hätte damals die Britische Kolonialmacht derartige Überwachungsinstrumente gehabt. Und um es schließlich wieder auf den konkreten Fall zu heben, auch in Europa verfolgen wir das Ideal der Demokratie.
Die Frage „Warum eigentlich Datenschutz?“ lässt sich aber auch noch folgend beantworten:
„Wer nicht wisse oder beeinflussen könne, welche Informationen bezüglich seines Verhaltens gespeichert und vorrätig gehalten werden, passe aus Vorsicht sein Verhalten an […].“
Dieser Satz erinnert zurecht an totalitäre Zeiten in Deutschland und gleichzeitig auch an sehr aktuelle Themen wie die Funkzellenabfrage auf Demonstrationen oder die Vorratsdatenspeicherung. Zitiert habe ich aber aus einem Wikipedia-Artikel zum „Volkszählungsurteil“, auf das ich ebenfalls in meinem Twittergespräch hingewiesen wurde. Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts stammt aus dem Jahr 1983, also noch vor dem Internet und dem „Informationszeitalter“, und erklärt den ausreichenden Datenschutz zur Notwendigkeit für ein freiheitlich demokratisches Gemeinwesen, da dieses die selbstbestimmte Mitwirkung seiner Bürger bedürfe.
„Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. […] Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist. Hieraus folgt: Freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.“
Das Ende von „Safe Harbor“ hat keine wirtschaftlichen Gründe
Es ist auf der einen Seite beruhigend, dass „Safe Harbor“ tatsächlich aufgekündigt wurde und es ist in der Sache noch einmal mehr positiv zu bewerten, dass dies im Wesentlichen auf das Engagement eines Einzelnen zurück zu führen ist. Ich für mich kann zusätzlich positiv formulieren, mich gerade deshalb näher mit dem Thema Datenschutz und der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika auseinander gesetzt zu haben. Auf persönlicher Ebene definitiv ein Gewinn und es ist zu hoffen, dass das andere ebenfalls dazu anregt. Und ich habe hier in den Sätzen immer wieder meine Nutzung von Twitter hervorgehoben, um nicht hinten herunter fallen zu lassen, dass die Digitalisierung auch enorme Vorteile bringt.
Für alles was die Zukunft betrifft halte ich es für wichtig, dass wir die Gründe hervorheben, warum „Safe Harbor“ aufgekündigt wurde. Wenn ich das richtig überblicke ist das die bisher einzig wirkliche Konsequenz auf das Bekanntwerden der US-amerikanischen Überwachungsprogramme. Wir sollten das auch so benennen. Wir sind nicht auf der Suche nach dem Nachfolger von „Safe Harbor“, sondern mitten in den Verhandlungen, das freiheitlich demokratische Gemeinwesen aufrecht zu halten. Und interessanterweise ist dieses Mal die Freiheit der Wirtschaft das Druckmittel für und nicht gegen Bürgerrechte.