Was macht mich als Person eigentlich aus? Im Alltag denken wir nicht groß darüber nach, über das Ich. Was ist Identität? Wie entsteht Identität? Im Soziopod habe ich gelernt, Identität gründet sich auf dem Vorgang der Selbstreflexion. Wir betrachten uns im Spiegel und beurteilen uns aus der Sicht einer dritten Person. Dabei ist Identität immer etwas dynamisches, das Maß nach dem ich mich selbst bewerte, ist ständig äußeren Einflüssen unterzogen und verändert sich.
Bildung ist der Prozess bei dem ich an meiner Identität arbeite. Ich nehme Informationen auf und setze sie in eine Beziehung zu meinem Ich. Identität ist also definitiv mehr als das, was einfach in Daten ausgedrückt werden kann, wie Name, Geschlecht, Alter, Herkunft, Wohnort usw.
Identität ist auch ein Begriff an dem sich kultureller Wandel beobachten läßt. Früher hatten Menschen relativ feste Rollen, in denen sie sich befanden. Wer einmal Bäcker war, ist auch immer Bäcker geblieben. Das hat sich ganz klar gewandelt. Patrick Breitenback und Dr. Nils Köbel sprechen im Soziopad von einer Patchworkidentität, in der wir uns heute befinden. Wir wechseln häufiger den Beruf, wir arbeiten stärker in Projekten und spezialisieren uns auf Zeit. Noch viel stärker als früher muss man Personen heute im Kontext zu anderen Dingen betrachten.
Nach unserer Identität werden wir auch gefragt, ganz besonders viel z.B. im Internet. Schon allein für den Zugang, erhalten wir, bzw. unser Rechner eine IP, eine Adresse im Netzwerk, die uns identifiziert. Um Facebook oder andere Social Networks überhaupt sinnvoll nutzen zu können, müssen wir ein Profil anlegen. Bei Facebook geht es aber auch weit darüber hinaus. Anhand meiner „Gefällt mir“-Angaben im Profil kann man bereits sehr viel über mich lernen. Auch schon rein quantitativ. Ich habe gut 150 Seite geliked, die eindeutig in den Bereich Musik fallen, bei Fernsehen sind es nur sieben und bei Sport gibt es eine einzige Angabe. Diese Angaben habe ich zwar nicht gezielt in eine Maske eingegeben, aber dennoch sind das Angaben, die ich sehr bewußt ausgesucht habe, da ich schließlich nicht von allem „Fan“ werde.
Die Veränderung macht aber da noch nicht halt. Wir bewegen uns in eine digitale Gesellschaft. Wir kaufen weniger CDs. Schallplatten und Kassetten sind schon längst eine Nische für Sammler. Wir kaufen heute mp3s, eBook, ePaper und lesen durchaus Blogs, die wir über Twitter und Facebook von anderen im Netz empfohlen bekommen haben eher, als dass wir uns auf die Tageszeitung verlassen. Selbst Verwaltung verändert sich. In Zukunft müssen wir nicht mehr irgendwo hingehen, um eine Veränderung, z.B. ein Umzug zu melden, sondern wir erledigen dies einfach online. All das machen wir am Computer. Unser visuelles Eingangstor ist heute im Durchschnitt 22″ groß. Mobil ist es noch viel kleiner. Unser Leben visualisiert sich auf einem Gerät, das locker in unsere Hosentasche passt.
Ich will mich über diesen Zustand nicht beschweren. Wenn wir uns im wirklichen Leben Menschen treffen, müssen wir trotzdem noch unsere Sprache nutzen und ob ich etwas mit Stift auf Papier oder auf ein Tablet-Computer schreibe, empfinde ich jetzt auch nicht als Kulturverfall. Über die Visualisierung direkt auf der Netzhaut oder über eine Brille werden wir sicher noch viel reden müssen. Ich stelle mir das aber auch interessant vor, darüber holografisch direkt in den Raum zu zeichnen.
Das alles ist aber irgendwie nur die halbe Wahrheit. Identität im digitalen Raum konzentriert sich bisher sehr stark auf den kommunikativen Prozess mit anderen. Der kommunikative Prozess mit mir selbst ist dem nachgelagert. Facebook z.B. ist ein Unternehmen, welches sich an wirtschaftlichen Maßstäben messen muss. Facebook muss auf unsere Identität zugreifen, damit sie einen Prozess befeuern können, an dem am Ende Gewinn erwirtschaftet werden kann. Jede einzelne und noch so kleinste Funktion, die wir als Nutzer gleichfalls nicht direkt bezahlen, kostet Facebook richtig viel Geld. 900 Mio Nutzer hat Facebook mittlerweile weltweit. Die Frage ist, kann es sich ein Unternehmen in diesen Dimensionen leisten auf Optimierung im Sinne der Gewinnmaximierung bis ins kleinste Detail zu verzichten? Wird meine Identität gegenüber mir selbst gleichstark kommuniziert, wie sie das gegenüber anderen wird? Kann ich mich auf Facebook selbst finden oder werde ich nur gefunden?
Facebook ist für mich ein Werkzeug. Ich halte auch ganz bewußt Dinge da raus. Ich könnte unter den „Gefällt mir“-Angaben ergänzen, dass ich total gern Fahrrad fahre. Aber warum? Muss ich das machen, nur weil die Architektur der Algorithmen mir das vorgibt? Ich lasse Radfahren ja nicht gänzlich in meiner Netzkommunikation verschwinden, aber ist der Architektur Facebook überhaupt stark genug, um mir gegenüber meine Identität zu kommunizieren? Ist Facebook dafür gedacht?
Wie passiert eigentlich, wenn ich keinen Zugang zum Netz habe? Was wenn mir Zugang verboten wird, weil ich menschlich drei mal versagt habe? Was kommuniziert, was visualisiert dann meine Identität gegenüber anderen Personen, wenn ich vorher alles um mich herum, meine Bücher, meine Musik, meine Fotos und Geschichten, quasi alle meine Erinnerungen in die Cloud geschickt habe? Bin ich dann nicht mehr existent?
Was mache ich, wenn ich mal genug habe vom Kommunizieren im Netz, wenn mich komische Trolle so sehr für meine preisgegebenen Ideen und Visionen beschimpft und entnervt haben, dass nicht nur alle Kommentare, sondern am liebsten alle Inhalte vom Netz nehmen möchte?
Kein Problem. Ich schalte den Computer aus, koche mir einen Tee, setze mich in meinen gemütlichen Sessel und … … starre auf eine leere Wand.
Gestern ist mir das aufgefallen. Ich saß bei einer Freundin auf dem Sofa, sie mußte noch eine Mail schreiben und trotzdem war es als wenn sie schon mit mir sprechen würde, als ich das wunderschöne und große Bücherregal auf mich wirken ließ. Ich spürte ganz genau. All diese Bücher, Zeitschriften, auch ein paar Ordner, das war alles nicht zufällig da. Mit jedem Buch, mit jedem Ding in diesem Regal verband sich eine Geschichte mit ihr. All das war ein Teil von ihr. Es war kommunizierte, visualisierte Identität.
Jetzt weiß ich, Identität ist das einzige was ich habe und ich brauche auch ein schickes Bücherregal. Als Fallback, als Backup meines Ich.
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