Die Empörung über die von der GEMA angekündigten Tarife für Veranstaltungen mit Live-Musik sind unübersehbar. Die Petition „Gegen die Tarifreform 2013 – GEMA verliert Augenmaß“ verzeichnet mittlerweile über 100.000 Unterzeichner. Der Zustrom für diese verläuft linear, eher ist dieser leicht ansteigend, als dass er abflachen würde. Demnach und auch nach sonstigen Berichterstattungen ist es der GEMA bisher nicht gelungen argumentativ zu kontern. Deutlich wird das auch durch den etwas witzigen Versuch die Petition als unrelevant zu deklarieren. Lorenz Schmid im Gespräch mit DRadio Kultur-Redakteur Dieter Kassel:
Schmid: […] Die Online-Petition, die gibt es, es ist allerdings keine politische Petition, sondern das ist eine vom DEHOGA, vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband initiierte Petition, dass der Verbandsvertreter der Gastronomie und die Verbandsvertreter der Clubszene gegen diese Tariferhöhungen vorgehen. […]
Lobbyismus sei also kein politisches Handeln. Schon lustig.
Ihre Monopolstellung und ein fehlender politischer Druck, der die gesellschaftlich relevanten Entscheidung in vielen Fragen der konkreten Ausgestaltung hinterfragen würde, scheint allein schon ein guter Grund zu sein, sich ihr entgegen zu stellen. Die Grundhaltung vieler Meschen gegenüber der Verwertungsgesellschaft ist alles andere als positiv oder etwa neutral gestellt. Die GEMA steht unter Beobachtung. Zurecht? Vielleicht. Transparenz ist mittlerweile ein geflügeltes Wort, im Zusammenhang mit der GEMA über Transparenz zu reden, bzw. diese einzufordern gefühlt schon Tradition.
Tarif und Augenmaß
Dass es letztendlich auch viele Kriterien sind, die in der Clubkultur eine Rolle spielen und bei deren Gewichtungen die GEMA sicherlich anders denkt, wenn sie sie überhaupt wahrnimmt, haben Sebastian Schwerk und Frank Trepte in einem Beitrag auf mittelstern.de herausgearbeitet. Frank und Sebastian sprechen natürlich nicht für die Großraumdisko, eine Unterscheidung z.B. zwischen Indie und Mainstream gibt es ja aber in der Tarifstruktur nicht. Genau das spricht auch aus den vier von Sebastian und Frank genannten Problemen heraus. Die von der GEMA als positiv hervorgehobene Vereinfachung hat natürlich auch zur Folge, dass alle über einen Kamm geschoren werden. Für den Verwaltungsaparat GEMA ist das sicherlich gut, für die Kultur aber lange nicht. Die Vereinfachung der Tarife ist eben keine Vereinfachung, sondern eine Ungleichbehandlung. Eine Ungleichbehandlung zwischen dem Mainstream auf der einen Seite und allem, was darunter liegt auf der anderen.
Veränderung nur durch Veränderungszwang?
Was ich an der ganzen Diskussion bislang vermisse, ist der relativierende Blick mit Bezug auf andere bereits begonnene Veränderungen. Die neue Tarifstruktur bezieht sich auf Veranstaltungen mit Live-Musik – mit Ausnahme von reinen Konzerten. Auch das ist wieder ein Kriterium, wo jeder die Grenze anders zieht. Neben dem, dass ich vielen DJs sofort unterstellen würde, dass sie Musik interpretieren, nicht einfach „nur“ auflegen, hat sich im Bereich der Medientechnik auch einiges verändert.
Musik ist heute allgegenwärtig. Nicht zuletzt durch immer neue Endgeräte und Plattformen wie YouTube oder Musik-Streamingdienste. Auch ohne aufwändig Studien zu zitieren zu müssen, sollte klar sein, dass wir heute privat mehr Musik hören als noch vor 10 Jahren. Der alltäglich Konsum tritt spürbar in Konkurrenz zum Event.
Natürlich hat das „in die Disko gehen“ sehr viel als nur mit Musikkonsum zu tun, das gesellschaftliche Zusammenkommen ist bei weitem ausschlaggebender. Der Mensch trifft sich, um zu kommunizieren. Allerdings, unser Leben ist mittlerweile voll von Marktplätzen für das gesellschaftliche Miteinander. Hat die Nul-Acht-Fünfzehn-Disko auch so schon nichts mehr zu bieten im allgemeinen Überangebot der Großstädte, verliert sie auch noch mehr und mehr ein früher natürliches Merkmal des „place to be“. Angefangen hat das schon vor Jahren mit dem Handy. Gefühlt 80% aller Telefonate beginnen mit der Frage: „Wo bist du gerade?“. Um mich mit anderen Menschen zu treffen, muss ich nicht dort hingehen, wo alle hingehen, sondern ich kann schon lange einfach fragen. Selbst das fragen muss schon nicht mehr sein. Geoinformationen in Fotos, Foursquare und wie sie alle heißen, sie alle erzählen wo ich mich gerade befinde. Der größte Konkurrent für die Clubkultur ist heute die Privatparty, die technisch vielleicht lange nicht mithalten kann, kommunikativ durch den erweiterten Raum der Sozialen Netzwerke sehr wohl.
Nicht nur Musik ist heute allgegenwärtig, auch meine Freunde sind es nahezu auch. Auch ohne Veränderungen wie sie jetzt die GEMA angekündigt hat, verändern sich die Voraussetzungen der Clubkultur ständig und – wieder einmal über den Medienwandel skizziert – grundlegend.
Das Instrument in der Hosentasche
Ein zweiter Wandel, das Musikerlebnis betreffend, skizziert sich auch über die Technik. Das Klavier, die Gitarre, der Synthesizer sowieso, alles das gibt es schon seit einer ganzen Weile auch für das Smartphone oder das Tablet. Ich will jetzt nicht behaupten, dass Digitaltechnik irgendwann einmal auch die Stradivari gleichwertig ersetzen wird. Ich will auch nicht behaupten, dass die breite Masse der Laienkünstler die Profis ersetzen werden. Als Beobachtung würde ich aber festhalten, dass das Interpretieren aufgrund kleinerer, vielfältiger Instrumente schon fast so einfach geworden ist, wie das Abspielen von Musik. Ein wichtiger Faktor ist auch, dass diese Instrumente vergleichbar günstig sind. Der Moog für das iPhone oder iPad kostet gerade mal 5,99 €.
Um jetzt noch einmal mit einer gewaltigen Glaskugel nach der aktuellen GEMA-Tarifänderunge zu werfen, auch für Elektronische Musik gilt: Es ist ein Unterschied, ob Musik „nur“ abgespielt wird oder ob sie live interpretiert wird. Schon jetzt ist der Unterschied zwischen dem Plattenspieler als Abspielgerät und dem Plattenspieler als Instrument mehr als Schwammig erklärt. Elektronische Musik als reines Konzerten ist möglich und wird auch als seitens der GEMA akeptiert. Ein mögliches Bild der Glaskugen könnte sein, dass der Wandel zwar von der bevorstehenden Tarifreform verstärkt wurde, grundlegend aber sowieso ablief und in fünf Jahren die Abspiel-Kultur stark durch die Kultur des Interpretierens ersetzt wurde.
Wie gesagt, ich spreche über die Zukunft. Vielleicht aber zieht man das als etwas gutes aus der Diskussion. Vielleicht wird genau das eine ganz interessante neue Richtung verstärken. Vielleicht interpretiert der durchschnittliche DJ in drei Jahren nur noch und spielt nicht mehr ab. Der Computer sein Instrument. Jeder Clubbesuch würde einzigartig und überdies günstiger. (Quelle: GEMA-Tarifrechner für die GEMA Tarife ab 2013, angeboten auf der Webseite DEHOGA Bundesverband)
Dienstleister auf Basis von freier Musik
Die Disko mit Creative Commons Musik ist heute noch vergleichsweise selten, in absehbarer Zeit wird sich das aber ändern. Auch hier hilft die GEMA selbst wieder am meisten mit. Freie Lizenzen für Musik sind mit der GEMA-Mitgliedschaft unvereinbar. Die GEMA ist schlichtweg nicht in der Lage auf Veränderungen einzugehen und sägt an ihrem eigenen Ast.
Die C3S, eine angekündigte neue Verwertungsgesellschaft für die Verwertung von freier Musik, ist das beste Beispiel. An Alternativen wird also längst gearbeitet und prinzipiell jeder kann mit seinem eigenen Musikkonsum an diesen Prozessen mitgestalten. Mit Jamendo Pro gibt es schon eine ganze Weile einen Anbieter, bei dem man freie Musik für die Verwendung im unternehmerischen Bereich lizensieren kann. Mit rightclearing.com steht seit Anfang des Jahres der nächste Dienstleister bereit (mehr z.B. auf detektor.fm).
Diverse Entwicklungen verändern die Clubkultur, vielleicht ist es auch an dieser Stelle einfach Zeit für mehr Experimente.