In letzter Zeit bin ich sehr erstaunt, wie sehr der Konstruktivismus sich im Alltag bestätigt. Es fühlt sich teilweise sogar so an, als müsste ich aufpassen, nicht einer Ideologie zu verfallen. Es passt alles sehr gut zusammen und tatsächlich bin ich sogar auf der Suche nach dem Reibungspunkt, der mir irgendwo noch mein Denken bestätigt.
Schwierig ist allerdings der Versuch, den Konstruktivismus, wie ich ihn wahrnehme, zu beschreiben. Empfehlen kann ich auf alle Fälle die Soziopod-Folge zum Konstruktivismus. Ob das dann schon ausreicht, weiß ich nicht, ich würde daher auch meine Empfehlung darauf ausweiten, bei der Folge 1 zu beginnen, da sich Patrick Breitenbach und Nils Köbel immer wieder auf Vorhergegangenes beziehen.
Zwei Sachen, die mir am Konstruktivismus besonders imponieren:
Der Konstruktivismus reduziert die Wahrheit auf einen einzelnen Ort, nämlich auf den Kopf, das Denken des Individuums, und dies zusätzlich auf einen einzelnen Zeitpunkt, den Augenblick. Meiner Meinung nach besagt der Konstruktivismus dass es unendlich viele Wahrheiten gibt.
Die damit einhergehende Unbeständigkeit bestärkt im Gegenzug die Veränderung. Daraus ergibt sich sogar fast schon wieder ein gespenstischer Absolutismus. Man könnte sogar so weit gehen und sagen, der Sinn des Lebens sei Veränderung. Die Spannung, die daraus entsteht, zu versuchen ausgerechnet die Veränderung zu fokusieren, macht das Leben selbst zu Kunst.
Beides zusammen bietet Lösungen für erstaunlich viele Konflikte. Gemeinerweise muss man meist sehr genau hinschauen, weil es sonst leicht so wirkt, als würde der Konstruktivismus Konflikte lösen durch Negieren. Das tut er aber nicht. Es ist eher das Gegenteil, er lässt zu.
Ob Antje Schrupp selbst mit meiner Auffassung des Konstruktivismus etwas anfangen kann, weiß ich nicht, ich nehme aber trotzdem ihre Worte als ein Beispiel. Sie beschreibt in ihrem Beitrag „Ausweg: Kapitulation“ von einer Auflösung eines Konfliktes der durch die Digitalisierung entstanden zu sein scheint. Digitale Arbeit habe positive wie auch negative Seiten, so der Konflikt.
Antje Schrupp entgegnet dem zunächst, dass es ausschließlich positive Seiten gäbe, die negativen Seiten immer auf andere Quellen zurück zu führen seien. Sie geht dann aber noch tiefer in die Erklärung ein und arbeitet dabei eben genau mit dem konstrutiven Zulassen, auf welches ich hinweisen möchte.
Wir Menschen sind keine körperlosen Datensätze, sondern begrenzte Wesen aus Fleisch und Blut. Wir werden müde, kriegen Hunger, haben Migräne, müssen Scheißen. Klar kann ich das Handy auch noch mit aufs Klo nehmen und dort weiter E-Mails lesen (ich persönlich mache das übrigens). Aber ich sollte mir doch nicht einbilden, dass ich dadurch mehr geschafft kriegen würde. Ob ich das Handy mit aufs Klo nehme oder den ganzen Tag in der Ecke liegen lasse, macht letztlich keinen Unterschied in Bezug auf all das, was ich verpasse oder nicht tue. Begrenzt gegen Unendlich ist eine einfache logische Gleichung.
Das schließt vielleicht ein bisschen an den Vortrag von Kathrin Passig an. Sie zeigte, dass die heutige Klage über die „Informationsflut“, der wir ausgesetzt sind, nicht neu ist: Schon vor Jahrhunderten fanden Leute die paarhunderttausend Bücher, die es damals gab, viel zu viele. Alle Tools, die dann im Lauf der Zeit entwickelt worden sind, um der Informationsmasse beizukommen (Register, Index, Suchmaschinen, heute personalisierte Empfehlungen) erwiesen sich immer nur als zeitweise Lösungen. Wahrscheinlich werden immer weiter Tools erfunden werden, um eine Schneise in die Masse der Informationen zu schlagen, aber an ein Ende wird es nie kommen.
Auch hier ist der einzige Ausweg Kapitulation. Einfach nicht den Anspruch haben, alles Relevante und Interessante zu erfahren.
Die Kapitulation, von der Antje Schrupp hier schreibt, würde ich als das Auflösen scheinbarer Grenzen bezeichnen. Die Grenzen, die nur dadurch entstehen, weil man versucht die Objektivität als Ganzes, quasi in einem Punkt zu fokusieren.
Mit der Zugänglichkeit der Vielfalt über das Internet stehen wir im Konflikt mit der Objektivität. Wie und mit welchen Vorwänden diese Objektivität verteidigt wird, zeigen auch Kathrin Passig und Sascha Lobo, die offensichtlich in ihrem neuen Buch genau diese Gegensätze angehen. Konstruktives Zulassen, die Vergänglichkeit der Wahrheit durch den zeitlich und perspektivisch abhängigen Raum und das Anerkennen der sinnlichen Wahrnehmung der Veränderung als Wert, sind für mich momentan äußerst belastbare Beschreibungen für einen gangbaren Weg, den Konflikt gebändigt zu bekommen.